Sonntag, 18. Dezember 2011
Achtzehnte Tür: eine Weihnachtsgeschichte
Vor einigen Jahren habe ich diese Geschichte zum Vorlesen auf einer Adventsfeier geschrieben. Nun weiß ich nicht, ob man bei Interesse den Text einfach aus dem Blog kopieren kann, doch falls nicht, biete ich an, mich über Blogger.de zu kontaktieren, ich schicke sie gern kostenlos als pdf an die gewünschte Adresse!

DIE KRUMME KERZE

(von Susanne Sarnowski)

Im Kerzenladen war Hochsaison: Es wurde Advent. Der Laden duftete nach Honigwachskerzen und glänzte von gold- und silberverzierten Kerzen. Da gab es ganz lange, große, reich verzierte Kerzen, kunterbunte Kugelkerzen, die von innen heraus leuchteten, kleine Teelichte in niedlichen Haltern, Christbaumkerzen im Zehnerpack in allen Farben, lange, elegante Tafelkerzen, und, und, und.

Zwischen den kräftigen Stumpenkerzen, die lange brennen, stand eine dunkelrote, knubbelige Kerze, die leider nicht ganz gerade war. Oh, sie stand schon lange hier! Ein paar Jahre waren es bestimmt – etwas verstaubt war sie nämlich auch schon... Diese Kerze hörte stets mit Sehnsucht zu, wenn ihre Kolleginnen sich unterhielten.

Die Geburtstagskerzen warteten darauf, ein Kind zu erfreuen, die wunderschönen Kommunionkerzen würden andächtig von festlich gekleideteten Kindern in die Kirche getragen werden und die Jerusalemkerzen sollten als Geschenk einen lieben Menschen überraschen. Die Adventskerzen würden einen liebevoll geschmückten Kranz oder ein Gesteck zieren und die Tafelkerzen würden ein Festmahl beleuchten. Am meisten aber beneidete die kleine, krumme Kerze die Christbaumkerzen, die zwar auch sehr schlicht waren, aber sicher brennend am Baum ein wunderbares Licht verbreiten und Freude in die Herzen der Menschen zaubern würden.

Mitleidig wurde die dunkelrote, knubbelige Kerze von einer Taufkerze mit Silberstreifen beäugt: „Dich wird bestimmt niemand kaufen. Wer will schon so ein krummes Ding? Du wirst schon sehen, eines Tages wird man Dich wieder einschmelzen.“

Da wurde die kleine, krumme Kerze sehr traurig. Wenigstens einmal wollte sie doch brennen und jemandem Freude machen! Aber sie ahnte doch, daß die Taufkerze Recht hatte: sicher würde niemand eine so unscheinbare, schiefe Kerze wie sie kaufen.

Weihnachten rückte näher, viele Kerzen waren verkauft, da nahm der Ladenbesitzer eines Tages einen großen Pappkarton, auf den er mit dickem Filzstift schrieb:

„Restposten – zum halben Preis!“

Dann durchstöberte er den ganzen Laden, räumte hier, klaubte dort ein wenig, rückte einige Kerzen zurecht und ließ dabei alle älteren, weniger schönen Kerzen in den Karton wandern. Auch die kleine, knubbelige, weinrote Kerze fand sich dort wieder! Den Karton stellte der Ladenbesitzer auf einem Klapptisch vor dem Schaufenster auf.

Im Lauf der Woche wurden so doch nach und nach noch etliche Kerzen verkauft, denn zum halben Preis nahmen die Menschen sie gerne. Und so blieb am letzten Tag vor Weihnachten nur noch die kleine, krumme Kerze im Karton zurück! Sie schämte sich schrecklich, daß selbst für den halben Preis niemand sie haben wollte!

Am Abend, kurz vor Ladenschluss, kam dann der Besitzer heraus, um den Tisch zusammenzuklappen und den Karton hereinzuholen. Als er sah, daß nur noch eine Kerze übrig war, kratzte er sich am Kopf: „Hm,“ brummte er, was mache ich denn nur mit dir? In den Laden will ich dich jedenfalls nicht mehr stellen.“ Er drehte sie in der Hand. „Du bist ja ganz krumm und knubbelig. Hm, hm.“

Und als er so überlegte, kam ein alter Mann vorbeigeschlurft, der seine ganze Habe in zwei Plastikbeuteln bei sich trug. „Hey,“ rief da der Kerzenhändler, „Sie da! Könnten Sie eine Kerze brauchen? Ich schenke sie Ihnen!“ Etwas erstaunt kam der Mann näher und sah die Kerze an. „Ach, warten Sie, ich gebe Ihnen gleich noch Streichhölzer dazu!“ sagte der Ladenbesitzer und holte ein Päckchen aus dem Geschäft. „Ja, dann danke schön!“ meinte der alte Mann etwas unsicher. „Und Frohe Weihnachten!“ rief der Kerzenhändler noch über seine Schulter, als er den Klapptisch hineinbrachte.

„Ebenfalls,“ brummte der alte Mann, steckte Kerze und Streichhölzer ein und schlurfte weiter durch die Nacht, bis er an eine Brücke kam. Er kletterte hinunter. Unter dem Brückenbogen saßen bereits einige zusammengekauerte Gestalten im Dunkeln, die ihn mit gemurmelten Grußworten empfingen und näher zusammenrückten, damit er seinen Platz zwischen ihnen einnehmen konnte.

„Hab' 'was mitgebracht,“ brummte er, und zog seine unerwartete Errungenschaft aus der Manteltasche. Er fegte mit den Händen ein Stückchen Boden glatt, stellte mit klammen Finger die kleine, schiefe Kerze auf und zündete sie an. Die anderen guckten verwundert und etwas skeptisch. „Frohe Weihnachten,“ meinte der alte Mann leise. Die anderen schwiegen betreten.

Doch schließlich kam eine Frau mit verfilztem Haar herangehinkt. In ihren Augen glitzerte etwas wie eine alte Erinnerung. „Ich hab' auch 'was.“ Und sie hielt einen Lebkuchen in der ausgestreckten Hand. „Hat mir wer gegeben.“. Die anderen sahen sie an. Dann kamen nach und nach noch zwei Flaschen Glühwein, ein Apfel, eine alte Semmel und eine Ecke Wurst zum Vorschein, und die kleine, krumme Kerze brannte fast die ganze Nacht als Tafel- und als Weihnachtskerze für dieses ungewöhnliche Festmahl.-

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Vielen Dank für diese wundervolle, liebe Geschichte!

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